Vetsforlife

View Original

Gedanken zur Nachhaltigkeit in der Anästhesie

Mit freundlicher Gehnemigung von DVG-Vet-Congress 2024.

DVG-Vet-Congress 2024 – Kleintiere Do & Fr
Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig

Zurück in die Zukunft?
Gedanken zur Nachhaltigkeit in der Anästhesie
M. Alef

Nachhaltigkeit wird auch in der Tiermedizin ein immer größeres Thema. Wir sind nicht nur jeder persönlich von den Folgen der Klimakrise betroffen, sondern wahr-scheinlich auch unsere Patienten. So geht man in der Humanmedizin davon aus, dass die Klimakrise die Krankheitslast in nahezu jedem Fachgebiet der Medizin er-höht. Das dürfte in der Tiermedizin nicht anders sein, denn Hitzewellen werden auch bei unseren Haustieren zu vermehrten Todesopfern führen und das wahr-scheinlich nicht nur bei brachyzephalen Hunden. Leider gehört auch unser Berufs-tand zu den Mitverursachern der Probleme, denn die moderne Veterinärmedizin arbeitet ressourcenintensiv. Die vielen Kunststoffartikel und –verpackungen be-lasten unsere Umwelt ebenso wie die bei der Inhalationsanästhesie abgegebene klimaschädlichen Gase. Darüber hinaus sind vor allem die Lieferketten für die Ent-stehung einer erheblichen Menge an Treibhausgasen verantwortlich. Primäres Ziel ist natürlich eine qualitativ hochwertige Versorgung unserer Pa-tienten, insofern kann man nicht zurück in die Vergangenheit und auf alle Ein-malartikel verzichten. Man hat jedoch an vielen Stellen einen gewissen Gestal-tungsspielraum, der mehr oder weniger große Kompromisse zu Gunsten einer „grünen“ Tiermedizin erfordert. Der Vortrag möchte einige möglich Handlungs-felder in der Kleintieranästhesie aufzeigen.

Mülltrennung und -vermeidung

Der medizinische Fortschritt, die erhöhten Anforderungen an Hygiene und Ste-rilität und die Orientierung am Vorbild Humanmedizin haben zu einem starken Anstieg der Menge an Verbrauchsmaterial und damit an Kunststoffmüll geführt. Ein gutes Beispiel ist der Endotrachealtubus. Der orange Mehrweg-Gummitubus wurde durch den transparenten PVC-Tubus ersetzt. Zwar ist dieser zum Einmal-gebrauch gedacht, wird aber häufig nach Aufbereitung mehrfach verwendet. Möchte man hinsichtlich Hygiene auf der 100 % sicheren Seite sein, so nutzt man die Tuben bestimmungsgemäß nur einmal. Das bedeutet jedoch, dass bei jedem Patienten ein Tubus und die entsprechende Verpackung als Kunststoff- bzw. Leichtverpackungsmüll anfallen. Bei einem Endotrachealtubus des Innen-Durch-messers von 4,5 mm können dies zum Beispiel 15 g sein, bei größeren Tubus (ID 9 mm) schon 28 g. Möchte man die Inhalationsnarkosegeräte vor Kontamination schützen und nutzt für jeden Patienten noch einen individuellen Bakterien-/Vi-renfilter („Beatmungsfilter“), so kommen weitere 60 g/Patient dazu. Sicherheit wird hier also mit einem höheren Müllaufkommen erkauft, ohne dass wir allerdings Daten dazu haben, wie problematisch die Weiterverwendung auf-bereiteter Tuben wirklich ist. Dass diese nicht steril sind, steht außer Frage, aber in welchem Ausmaß sind diese mit krankmachenden Erregern kontaminiert und wie häufig kommt es zu einer Infektion? Hier scheint der Rückgriff auf Daten aus der Hu-manmedizin nicht reell. In unserem Hause sehen wir (subjektiv) keine Infektionen des Respirationstraktes nach einer Allgemeinanästhesie, obwohl Tuben wiederholt verwendet werden. Allerdings nutzen wir bei Patienten mit einer Aspergillose oder mit anderen bekannten Infektionen des Respirationstraktes Filter und deren Tuben sowie Tuben mit starker Verschmutzung/Kontamination werden entsorgt. Venenzugänge sind länger nutzbar, wenn sie möglichst wenig manipuliert wer-den. Aus diesem Grund wird in unserem Hause häufig eine kleine Infusions-verlängerung am Venenkatheter befestigt und in einer Schleife fixiert. Dies ge-schieht auch bei Anästhesiepatienten. Bei ambulanten Patienten erscheint dies aber nicht nötig, da der Venenkatheter ausschließlich während Anästhesie und Aufwachphase genutzt wird. Bei kleinen Patienten ist so unter Umständen auch die Gabe von Medikamenten nach Wirkung erschwert bzw. werden größere Mengen an Flüssigkeiten zum Spülen benötigt. Geht man hier differenzierter vor, kann man Verlängerung und Verpackung einsparen. Betrachtet man die Einwegprodukte, fällt auf, dass es durchaus Unterschiede in dem Bemühen der Hersteller zur Müllvermeidung gibt. So unterscheiden sich die Leicht-verpackungen (Papier und Kunststoff) für Infusionsverlängerungsleitungen („Heidel-berger“ u.ä.) sehr stark (Beispiele: 13x21 mm für eine Verlängerung von 30 cm, 8x15 mm für eine von 140 cm). Hier kann man durch Wahl des Herstellers Müll vermeiden. Für nicht kontaminierte Abfälle lässt sich auch im Bereich Anästhesie/OP eine Mülltrennung etablieren und so das duale System und eine mögliche sinnvolle Nutzung des Mülls unterstützten. Auch wenn die Mülltrennung prinzipiell aus dem privaten Bereich bekannt ist und an vielen Stellen analog funktioniert (Glas-flaschen, Papier/Kartons, Leichtverpackungen), bleiben doch Fragen, für die man auch mit längerer Recherche kaum Antworten findet. Dies liegt unter anderem darin, dass die traditionelle Sichtweise in der Human-medizin alles als kontaminiert betrachtet, sobald ein Patient im Raum ist. Dies scheint im Sinne der Umwelt nicht mehr vertretbar zu sein. Denn auch für ein Humankrankenhaus werden 75 bis 90% des Abfalls als mit Hausmüll vergleich bar, also als unproblematisch, eingestuft (WYSSUSEK et al. 2019). Eine der „unbeantworteten“ Fragen war: dürfen Spritzen, die nicht/wenig kon-taminiert sind, weil über einen Zuspritzstopfen eines Venenverweilkatheters genutzt, und die im Konus minimale Medikamentenmengen enthalten, in die „gelbe Tonne“. Auskünfte dazu fielen sehr unterschiedlich aus. Wichtig für die Realisierung einer sinnvollen Mülltrennung scheint eine Einbe-ziehung und Schulung aller im Bereich tätigen Mitarbeiter zu sein. Nur wenn die Handlungsempfehlungen verstanden und umgesetzt werden, werden diese die erwünschte Wirkung erzielen.

Lieferketten

Spätestens seit der Covid-19-Pandemie wird die Herkunft unserer Medizinpro-dukte und Medikamente thematisiert. Diese hat nicht nur Auswirkungen auf die Verfügbarkeit, sondern auch auf deren Umweltwirkung durch lange Lieferwege. Diese sind hinsichtlich der Kohlendioxidproduktion von immenser Bedeutung. Ein Blick auf die Umverpackungen diverser Einmalprodukte zeigt, dass deren Herkunft sehr unterschiedlich sein kann, so gibt es bei einer deutschen Tradi-tionsfirma Produkte aus Vietnam oder Frankreich. Produkte anderer Hersteller kommen aus Thailand oder Spanien. Zum Teil ist das Herstellungsland auf den Verpackungen nicht angegeben, sondern lediglich der Vertreiber. Im Idealfall würde man beim Einkauf Produkte mit einem geringen Energiever-brauch, also kurzen Lieferketten, bevorzugen. Diese Option scheint zum jetzigen Zeitpunkt eher eine theoretische. Möglicherweise kann hier Druck aus dem Ge-sundheitswesen, welches auch immer mehr zum nachhaltigen Wirtschaften ange-halten ist, in Zukunft eine Änderung oder zumindest mehr Transparenz erreichen.

Inhalationsanästhesie
Lange Zeit wurde die Inhalationsanästhesie in der Tiermedizin propagiert, weil sie gut steuerbar und vorhersehbar ist, die Metabolisierungsfunktion des Pati-enten nicht/kaum belastet und aufgrund von Intubation (Atemwegssicherung), Gabe einer erhöhten Sauerstoffkonzentration und die Möglichkeit einer Beat-mung automatisch gute „Bedingungen“ für den Patienten schafft. Unbestritten ist natürlich auch, dass Inhalationsanästhetika atem- und kreislaufdepressiv sind und dass meist aufgrund des fehlenden analgetischen Effektes eine Kombina-tions-/balancierte Anästhesie notwendig ist. Betrachtet man die Effekte auf die Umwelt, ist die Inhalationsanästhesie sehr problematisch. Sevofluran und Desfluran gehören zu den Fluorkohlenwasserstoffen und sind deswegen ebenso wie Lachgas Treibhausgase. Isofluran, Enfluran und Halothan sind sogar Fluorchlorkohlenwasserstoffe und haben zusätzlich noch einen ozon-schädigenden Effekt. Lachgas verweilt bis zu 114 Jahren in der Atmosphäre, Des-fluran bis 14 Jahre, Isofluran und Sevofluran 2 bis 6 Jahre. Narkosegase wirken schädlicher als Kohlendioxid, so hat Desfluran ein 2.540fach höheres Global War-ming Potential (GWP100). Bei Isofluran ist der Faktor 510, bei Sevofluran 130 und bei Lachgas 300 (SCHUSTER et al. 2020). In der Humanmedizin schätzt man, dass eine Inhalationsanästhesie durchschnittlich 60 kg CO2-Äquivalente verursacht.Daraus lässt sich ableiten, dass man auf keinen Fall Desfluran verwenden sollte und aus ökologischen Gründen Sevofluran dem Isofluran vorziehen sollte. Außer-dem sollte auf Lachgas verzichtet werden, was im Bereich der Katzenanästhesie suboptimal ist, da Brodbelt 2006 eine deutliche Reduktion des Risikos bei Katzen der ASA-Gruppen 3-5 bei Nutzung von Lachgas nachgewiesen hat (Abnahme der odd ratio für Versterben von 1 auf 0,1). Durch optimale Nutzung der Recycling-/Rü-ckatemmöglichkeit am Kreissystem, also durch Wahl eines geringen Frischgasflus-ses (Low oder Minimal-Flow-Anästhesie), kann die Menge des verbrauchten und u.U. an die Umwelt abgegeben Narkosegases (s.u.) reduziert und so die Umwelt-
verträglichkeit verbessert werden (RICHTER et al. 2020, SCHUSTER et al. 2020). Da die früher verfügbaren Anästhesiegasfilter in der Benutzung unsicher waren (kein Indikator, ob noch wirksam), wurde lange die Etablierung einer Narkosegas-absaugung bzw. Anästhesiegasfortleitung (AGFS) propagiert (Veterinärmedizin) bzw. war Standard (Humanmedizin). Diese entlässt allerdings die Anästhesiegase in die Umwelt und ist deswegen aus heutiger Sicht problematisch. Außerdem wird beim klassischen, in Kliniken verbauten System Druckluft zur Er-zeugung eines Unterdrucks genutzt. Eine solche Anästhesiegasfortleitung benötigt 20-60 l medizinische Druckluft/min und Narkosegerät. Die Druckluft wird in der Regel sehr energieaufwändig durch einen Kompressor erzeugt. Dadurch entstehen erhebliche CO2-Emissionen (SCHUSTER et al. 2023). Medizinische Druckluft wird verbraucht, sobald der Abluftschlauch des Narkosegerätes in die entsprechende Wandbuchse eingesteckt wird. Diskonnektiert man die Narkosegeräte, wenn sie nicht gebraucht werden, so spart dies viel Energie und schont die Umwelt. Als Alternative zur Anästhesiegasfortleitung gibt es heute Aktivkohlefilter, die das In-halationsanästhetikum binden. Anders als früher zeigt das Gewicht des Behälters an, ob noch Kapazitäten bestehen. Gebundenes Sevofluran wird von der entsprechen-den Firma recycelt, für Isofluran besteht diese Möglichkeit (noch) nicht. Der Filter hat also drei Vorteile: keine Entlassung von Gas in die Umwelt, Recycling möglich, kein Kompressor nötig (SCHUSTER u. COBURN 2022). Allerdings müssen manche Narko segeräte umgerüstet werden, um mit dem Filter betrieben werden zu können. Die Verwendung von Lachgas ist nicht mehr möglich, da dieses nicht gebunden wird.

Totale intravenöse Anästhesie
Aufgrund der negativen Auswirkungen der Inhalationsanästhesie auf die Umwelt könnte die Konsequenz „zurück zur Injektionsanästhesie“ heißen. Dabei ist dies aber kein Zurück in die Vergangenheit, da eine gute Injektionsanästhesie heu-te anders aussieht als früher. Kurzwirksame, nicht kumulierende Medikamente ermöglichen eine gut steuerbare Injektionsanästhesie im Sinne einer TIVA (to-tale intravenöse Anästhesie), die jedoch auch technischer Hilfsmittel bedarf wie Spritzen- oder Injektionspumpen. Außerdem ist eine Sicherung der Atemwege, die Applikation von Sauerstoff, die Möglichkeit der Beatmung und eine entspre-chende Überwachung auch bei dieser Form der Anästhesie obligat. Der ökologische Fingerabdruck einer TIVA ist bisher jedoch noch nicht vollständig geklärt. Zum einen werden in Form von Perfusorspritzen, entsprechende Leitun-gen etc. mehr Kunststoffprodukte benötigt, zum anderen ist noch unklar, welche Folgen für die Umwelt Herstellungsprozess und Transportwege der Medikamen-te, Medikamentenreste oder auch Ausscheidungen von Metaboliten durch den Patienten und damit eine mögliche Belastung des Wassers genau haben. Aus ökonomischen und ökologischen Gründe sollte vermieden werden, dass vorbereitet Medikamente oder angebrochene Ampullen/Flaschen (z.B. Propo-fol) verworfen werden müssen. Falls dies trotzdem notwendig ist, dann sollte die Entsorgung fachgerecht über den Restmüll, keinesfalls über das Abwassersystem erfolgen (WYSSUSEK et al. 2019, SCHUSTER et al. 2020).

Fazit
Im Bereich der Anästhesie ergeben sich eine Reihe von Handlungsfeldern, um deren ökologische Bilanz zu verbessern. Relativ einfach umsetzbar ist eine Modi-fikation der Inhalationsanästhesie nach ökologischen Gesichtspunkten. Daneben sollten Logistik (Abfallvermeidung, Erhöhung des Anteils an wiederverwertbaren Artikeln,), Effizienz (geringerer Ressourcenbedarf/Patient), Arbeitsweise (Müll-vermeidung, -trennung, Abschaltung nicht genutzter System) und Einkauf (Aus-wahl von Lieferanten und Artikel) kritisch und differenziert betrachtet werden, um für die eigene Praxis/Klinik mögliches Verbesserungspotential auf dem Weg zu einer „grünen“ Tiermedizin zu identifizieren.

Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Michaele Alef
Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig
An den Tierkliniken 23, 04103 Leipzig
E-Mail: alef@kleintierklinik.uni-leipzig.de

Literaturverzeichnis
1. Brodbelt DC (20069: The Confidential Enquiry into Perioperative Small Animal Fatalities. PhD

Thesis, Royal Veterinary College, University of London and The Animal Health Trust
2. Richter H, Weixler S, Schuster M (2020): Der CO2-Fußabdruck der Anästhesie. Wie die Wahl

volatiler Anästhetika die CO2-Emissionen einer anästhesiologischen Klinik beeinflusst. Anästh
Intensivmed 61:154–161. DOI: 10.19224/ai2020.154

3. Schuster M, Richter H, Pecher S, Koch S, Coburn M (2020): Positionspapier mit konkreten Hand-
lungsempfehlungen: Ökologische Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie und Intensivmedizin.
Anästh Intensivmed 61:329–339. DOI: 10.19224/ai2020.329

4. Schuster M, Coburn M (2022): Auf dem Weg zum Einfangen und Recyceln von Narkosegasen.
Anaesthesiologie 71:821–823. .https://doi.org/10. 1007/s00101-022-01214-8

5. Schuster M, Kuster L, Arends S, Brenner T (2023): Was ist neu . . . beim Energieverbrauch der
Atemgasfortleitungssysteme. Anaesthesiologie 72:348–349, https://doi.org/10.1007/s00101-
023-01266-4

6. Wyssusek KH, Keys MT, van Zundert AAJ (2019): Operating room greening initiatives – the old,
the new, and the way forward: A narrative review. Wast Magement & Research 37(1): 3-19